„Die Kirchen haben Angst vor der Wissenschaft“
Die evangelische Kirche wird immer konservativer. Sie hat vergessen, dass sie eine Kirche der Aufklärung ist. Fundamentalismus und Aberglaube breiten sich in allen Kirchen aus. Mit diesen Thesen will der Wissenschaftspublizist Martin Urban seine Kirche aufrütteln. Gerade auch angesichts des Reformationsjubiläums.
Martin Urban stammt aus einer Theologenfamilie, sein Herz schlug aber zunächst vor allem für die Naturwissenschaft. Martin Urban studierte Physik, Chemie und Mathematik an der Freien Universität Berlin. Als Physiker gründete und leitete er die Wissenschaftsredaktion der „Süddeutschen Zeitung“. Als Wissenschaftspublizist und Sachbuchautor veröffentlichte Martin Urban mehrere erfolgreiche Titel zu theologischen, philosophischen und psychologischen Themen. In seinem neuesten Buch „Ach Gott, die Kirche! – Protestantischer Fundamentalismus und 500 Jahre Reformation“ entlarvt er alles, was er für rückwärtsgewandt hält.
Andreas Main: Herr Urban, prominente evangelische Christen sagen mir hinter vorgehaltener Hand, wir Protestanten kehren einen Konflikt unter den Teppich – den Konflikt zwischen Fundamentalisten und Liberalen. Sie, Herr Urban, packen den Stier bei den Hörnern, Sie teilen den Eindruck, dass EKD und Evangelikale auf Schmusekurs gehen. Woran machen Sie das fest?
Martin Urban: Ja, die Kirche war mal eine geistige Macht und wird zum bloßen Sozialverein. Die Ursache dafür ist: Die Kirche rutscht ab in den Fundamentalismus, indem sie die Erkenntnisse der Wissenschaften – die Theologie eingeschlossen – nicht beachtet, die der Naturwissenschaften nicht versteht und auf archaischen Vorstellungen beharrt, die bereits seit hundert Jahren zumindest theologisch angezweifelt werden.
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Jahresrückblick 2012: Verlierer Nr. 2 – Wissenschaft
In diesem Jahr hat die Wissenschaft Triumphe feiern können: Es wurden erfolgreiche Weltraummissionen durchgeführt, der LHC in Cern hat vermutlich das Higgs-Boson gefunden und das Abschmelzen des arktischen Eises kann als Fakt gelten. Trotzdem ziehen es Politiker vor, einer alternativen Realität zu glauben.
Auch wenn viele Menschen dies nicht begreifen wollen: Es waren nicht nur Kultur und Philosophie, welche unsere Gesellschaften formten, die Wissenschaft war seit der Renaissance genau gleich daran beteiligt. Technischer Fortschritt und die Einordnung des Menschen als Teil der Welt statt als Wesen, dass gottgleich darüber steht, hat enormen Einfluss darauf gehabt, wie wir uns und unsere Umwelt wahrnehmen.
Dabei kann die Wissenschaft vor allem eines: Fakten liefern und die Methodologie, wie diese Fakten gefunden wurden, dazu liefern. Die Kritik an diesen Fakten, ihre Anwendung und Implementation muss hingegen jenen in der Gesellschaft, anvertraut werden, die Meinungen im öffentlichen Raum formen.
Ein Riss durch die Welt
von Uwe Lehnert
Bekennenden Christen gemeinsam ist im Prinzip der heilsgewisse Glaube an einen barmherzigen Gott, an die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, an die Sündenvergebung durch den Opfertod von Jesus, an die eigene Wiederauferstehung nach dem Tod, an eine wie auch immer geartete Hölle als Ort ewiger Verdammnis. Wie viele Kirchenmitglieder aber sind wirklich noch bekennende Christen?
Das Spektrum christlicher Glaubenspraxis in Deutschland reicht vom Kreationismus, also einer wörtlichen Interpretation der Bibel, bis hin zum Atheismus in der Kirche. Eine Studie über den Glauben der Hessen ergab, dass Christen im engeren Sinne sogar innerhalb der Kirchen eine Minderheit darstellen.
Droht uns eine Rückkehr ins Mittelalter?
Von den Kreationisten bis zu den Klimaleugnern: Ein US-Physiker warnt, dass Ideologie und religiöser Fanatismus die Oberhand über Wissenschaftlichkeit gewinnen.
Der US-Physiker Lawrence Krauss beklagt, dass die Wissenschaft in der westlichen Welt immer mehr an Autorität verliert. Das könne schlimme ökonomische Folgen haben. Über die unterschätzte Bedeutung der Grundlagenforschung und die Kritik an Evolutions- und Klimaforschern sprach mit ihm Norbert Lossau.
Wissenschaft und Religion vertragen sich einfach nicht
von Florian Freistetter
Wissenschaft und Religion passen einfach nicht zusammen. Das sage ich jetzt nicht aus Überheblichkeit oder gar Arroganz. Das liegt schlicht und einfach in der Natur der Sache. Wissenschaft und Religion betrachten die Welt auf fundamental unterschiedliche Art und Weise. In der Religion geht es darum zu glauben. Man beruft sich auf innere Überzeugungen, persönliche Visionen, alte Überlieferungen und für nichts davon muss es irgendwelche Belege geben. Oft wird sogar gerade die Tatsache, dass man ohne irgendwelche Belege glaubt als besonders lobenswerte Eigenschaft deklariert. Wissenschaft dagegen ist eine Methode, die extra entwickelt wurde um objektive Erkenntnisse über unsere Welt zu bekommen, die man nicht glauben muss. In der Wissenschaft geht es darum, Dinge zu belegen, zu überprüfen und all das rigoros zu verwerfen, dass dieser Überprüfung nicht Stand hält. Es gibt wenig, was schlechter zusammen passen würde, als Religion und Wissenschaft. Kein Wunder, wenn es da zu Konflikten kommt.
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